Nr. 169 – Unabhängige Justiz – ein Paradox?

Am 1. September 2017 erklärte der Oberste Gerichtshof Kenyas die Präsidentschaftswahl, aus der der bisherige Präsident Uhuru Kenyatta siegreich hervorgegangen war, als ungültig – ein in der jüngeren afrikanischen Geschichte einmaliges Verdikt. Das Urteil fand dementsprechend viel Beachtung und war auch für uns Anlass, in vergleichender Perspektive zu fragen, wie es um die Unabhängigkeit der Justiz in verschiedenen afrikanischen Staaten bestellt ist. In vier spannenden Berichten gehen wir auf die
Rolle von Gerichten und die Rechtsprechung in Burkina Faso, Kenya, Zimbabwe und Zambia ein.

Editorial
Hans-Ulrich Stauffer

Das Paradox richterlicher Unabhängigkeit in Afrika
Ein Erbe der Kolonialzeit
Wissenschaftliche und journalistische Berichte zeigen oftmals, wie das Ergebnis von Rechtsprozessen in afrikanischen Staaten, trotz aller Mechanismen und Normen liberaler Verfasstheit, von Faktoren ausserhalb des Rechts bestimmt wird. Wenn Normalbürger bei physischer oder finanzieller Schädigung Recht suchen, können die Entscheide von Richtern und Magistraten durch Drohungen oder Bestechung beeinflusst sein. Und auf der obersten Ebene, wo administrative oder verfassungsrechtliche Fälle verhandelt werden und das Ausmass der staatlichen Befugnis zur Debatte steht, kann immer wieder Willfährigkeit von Richtern und Richterinnen gegenüber den ranghöchsten Amtsträgern festgestellt werden, beobachtet Jeremy Gould.

Zambia
Rechtsstaatlichkeit nur auf dem Papier?
Die Justiz ist Bestandteil des politischen Systems eines Landes. In Zambia beeinträchtigt die enorme Machtfülle des Präsidenten die Unabhängigkeit der Justiz, die ihrer Rolle als dritte Macht deshalb nicht gerecht werden kann. Politische Einflussnahme und Korruption sind an der Tagesordnung. Was das im Einzelnen heisst, führen die konkreten Beispiele aus der Gerichtspraxis vor, die der zambische Jurist O’Brien Kaaba beschreibt.

Kenyas Justiz
Welcher Preis für mehr Unabhängigkeit ?

Miriam Badoux konfrontiert ihre Forschung an regionalen Gerichten Kenyas mit dem Ruhm, den die kenianische Justiz mit dem mutigen Urteil des Obersten Richters gegen die erste Runde der Präsidentenwahl im vergangenen August international erlangte. Bis zu Dreiviertel der Fälle in den regionalen Gerichten Kenyas basieren auf Landkonflikten. Und während die Gerichte ganz ordentlich und wenig korrupt zu funktionieren scheinen, verursacht die Plethora dieser Fälle lange Wartezeiten und grosse Kosten, welche den Zugang zu Recht trotzdem behindern.

Zimbabwe
Eine über Jahre kompromittierte Justiz

Die 2013 in einer Volksabstimmung angenommene neue Verfassung Zimbabwes verankert das Prinzip der Gewaltentrennung. Trotzdem hat sich der frühere Präsident Robert Mugabe immer wieder in die Unabhängigkeit der Gerichte eingemischt, unliebsame Richter bedroht, eingeschüchtert und bestochen. Menschenrechtsjurist Dewa Mavhinga zeigt in seinem Beitrag, welchem Druck die Richter ausgesetzt waren und fordert die neue Regierung unter Emmerson Mnangagwa zu einem Bruch mit dieser Tradition auf.

Die Sprache des Gerichts ist nicht meine Sprache
Verhandlungen am Strafgericht in Bobo-Dioulasso, Burkina Faso
Das Justizsystem in Burkina Faso ist, wie in vielen Ländern Afrikas, stark durch die ehemalige Kolonialmacht Frankreich geprägt. Das zeigt sich in Gesetzen, die kaum Bezug zur lokalen Realität haben, aber auch in der Sprache: In den Gerichtssälen wird strikt die Amtssprache Französisch gesprochen. Dies macht die Situation für viele Angeklagte, die kaum oder gar kein Französisch sprechen und sich keinen Anwalt leisten können, besonders schwierig, berichtet Natalie Tarr.

Afrika in Kürze
Eine Übersicht über aktuelle Themen

Susy Greuter

Literatur und Musik. Besprechungen von Neuerscheinungen
Mit Beiträgen von Barbara Müller, Elisa Fuchs, Susy Greuter, Caro van Leeuwen, und Pius Frey

«Die neue Schuldenkrise» und der Fall Credit Suisse – Mozambique
Barbara Müller berichtet über unsere Tagung vom 18. November 2017.